Der Garten – Nahrung für die Seele
„Hast Du zwei Silbermünzen, kaufe dir mit der einen Brot für den Magen und mit der anderen Hyazinthen für die Seele.“ (maurisches Sprichwort)
Eine blütenreiche Allee aus Kirschbäumen führt den Besucher des japanischen Gartens in eine exotische Traumwelt. Azaleenbüsche auf sanft geschwungenen Hügeln sattgrünen Grases betören mit ihrem Duft, während einzelne Findlinge in einer Kiesfläche meditative Ruhe ausstrahlen. In der Ferne wandert der Blick über sanfte Hügelketten bis zum wolkenlosen, blauen Himmel. Nicht weit davon plätschert über bemooste Felsen ein kleiner Wasserfall und mündet in einen unergründlich tief erscheinenden See. Eine geschwungene Bogenbrücke lenkt den Weg des Wanderers über den See in einen hohen Bambushain…
Doch dahinter endet die schöne Illusion: der Hain stellt sich als bedruckte Kulisse heraus, hinter der sich der Besucher auf einer geschäftigen Messe wiederfindet.
Der Garten hat eine solche Anziehungskraft, dass man sich sogar die Mühe macht, ihn in einer künstlichen Umgebung zu erschaffen.
Was macht seine Faszination aus, welches Geheimnis hat der Garten?
Der Dichter Hugo von Hofmannsthal schrieb bereits vor über 100 Jahren, worauf es ankommt: „…die Harmonie der Dinge zu fühlen, aus denen ein Garten zusammengesetzt ist: dass sie untereinander harmonisch sind, dass sie einender etwas zu sagen haben, dass in ihrem Miteinander eine Seele ist, so wie die Worte des Gedichtes und die Farben des Bildes einander anglühen, eines das andere schwingen und leben machen.“
Die Japaner haben die Kunst der genauen und ehrfürchtigen Natur-Betrachtung nicht nur in ihren Gärten zur Perfektion gebracht, sondern auch in einer besonderen Form des Gedichtes, dem sogenannten „Haiku“. In seiner Kürze verdichtet sich die Wirklichkeit zu einer besonderen Klarheit:
Die Wassertropfen
an den Zweigen der Rose –
wie Diamanten!
Nur ein Augenblick im Fluss der Zeit, vergänglich und zunächst scheinbar unbedeutend. Aber bewusst wahrgenommen birgt er einen großen Reichtum: nämlich das Leben im Hier und Jetzt. Das ist es, was viele Menschen verlernt haben. Sie sind meistens in Eile, jagen dem Geld und der Zeit hinterher und spüren dennoch oft eine ungestillte Sehnsucht in sich.
Werbung verrät viel über die Prioritäten unserer Gesellschaft: Luxus-Autos, Mode und Schmuck stehen mit an vorderster Stelle. Doch gerade in Krisenzeiten stellt
man fest: „Geld kann man nicht essen“, wie ein weiser Indianer einst sagte. Achtsamkeit, innere Einkehr und menschliche Nähe werden wieder gefragte Werte, man will wieder den Sinn im Leben entdecken.
Es ist wohl eine uralte Sehnsucht des Menschen nach dem Paradies, dem Garten Eden, der einst ein Ort der Einheit von Mensch und Natur war. Er kann es wieder werden! Natürlich nicht in dem Sinne, dass diese kleine „heile Welt“ die Situation unserer Welt ändern könnte. Aber er kann helfen, die innere Einstellung zu ändern. In der Natur und im Garten kann man die Fenster seiner Seele öffnen für einen Reichtum, der über den materiellen Reichtum hinausgeht.
Im Garten finden wir Menschen etwas, was in unserem schnelllebigen Zeitalter immer wichtiger wird: Zeit und Raum – für uns selbst, und Ruhe – vor dem Lärm der Welt. Hier können wir loslassen von unseren äußeren und inneren Zwängen, inneren Reichtum erfahren!
Tun Sie das, was für jeden Menschen wichtig ist – und der Garten ist dazu einer der am besten geeigneten Orte:
Lassen Sie einmal wieder Ihre Seele baumeln!
Dann kommen wir dem Paradies ein Stück näher – es liegt immer auch in uns selbst.
Ihr Harald Lebender